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Offener Brief von Professoren der LMU: Abschreiben ist kein Kavaliersdelikt - Standards guter Wissenschaft in Gefahr

Herrn
Staatsminister Dr. Wolfgang Heubisch
Bayerisches Staatsministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst
Salvatorstraße 2
80333 München

München, 22.02.2011

Sehr geehrter Herr Minister,

die Unterzeichneten, die an der Ludwig-Maximilians-Universität München Sprach- und Literaturwissenschaft lehren, beobachten die derzeitige Diskussion um die Plagiate in der Dissertation Karl-Theodor zu Guttenbergs mit großer Sorge.

Wir achten bei unseren Studierenden sehr sorgfältig darauf, dass sie vom ersten Semester ihres Studiums an die allgemein akzeptierten, etwa auch von der DFG klar definierten Standards wissenschaftlichen Arbeitens einhalten, darunter vor allem auch die Pflicht zum Nachweis von Zitaten. Selbst vermeintlich geringfügige Verstöße gegen diese Regeln führen mindestens dazu, dass kein Schein für die Veranstaltung ausgestellt wird (bzw. keine ECTS-Punkte vergeben werden), zu der die entsprechende Seminararbeit angefertigt wurde. Dies wird dem Verfasser der entsprechenden Arbeit in einem persönlichen Gespräch mitgeteilt.

Als Verstöße, die zu diesen Sanktionen führen, verstehen wir (im Einklang mit den allgemein akzeptierten Standards) bereits solche, die weit unterhalb der Ebene dessen liegen, was auch nur in einem ersten Bericht über nicht nachgewiesene Zitate in der Dissertation Karl-Theodor zu Guttenbergs dokumentiert wurde 1 - und dabei handelt es sich nur um einen kleinen Auszug von inzwischen eindeutig nachgewiesenen Plagiaten.

Wir maßen uns wohlgemerkt nicht an, in Untersuchungen einzugreifen, die jetzt von der Universität Bayreuth bereits eingeleitet wurden; noch weniger wollen wir uns in Debatten über mögliche politische Konsequenzen einmischen.

Vielmehr wenden wir uns an Sie, weil die Diskussion über diesen Fall uns sehr beunruhigt. In der Öffentlichkeit wird nämlich zunehmend der Eindruck hergestellt, es handle sich hier um eine im engeren Sinne politische, also parteipolitische Debatte. Und leider vertreten manche Politiker dabei die Position, es habe sich bei dem Verhalten des Promovenden um einen Kavaliersdelikt wie Falschparken gehandelt, das im Wissenschaftsbetrieb allerorten üblich sei, so dass dieser spezielle Fall überhaupt nur aufgedeckt worden sei, um eine "Schmutzkampagne"2 oder gar einen "politisch motivierten Angriff von ganz Linksaußen"3 gegen einen Regierungspolitiker zu führen.

Die Unterzeichneten möchten an der Universität weiterhin in der Lage sein, mit großer Strenge die Standards wissenschaftlichen Arbeitens nicht nur selbst einzuhalten, sondern sie auch unseren Studierenden zu vermitteln. Wir halten dies nicht für eine parteipolitische Aufgabe. Diese Arbeit wird aber beträchtlich erschwert, wenn der Eindruck verbreitet wird, Plagiate im Wissenschaftsbetrieb seien ganz üblich und würden nur ausnahmsweise von Linksradikalen aufgedeckt. Wir bitten daher Sie als den für uns zuständigen Staatsminister, uns in unserer Arbeit zu unterstützen, indem Sie auch öffentlich diesem Eindruck entgegentreten.

Mit freundlichen Grüßen

R. Stockhammer

im Namen folgender Kolleginnen und Kollegen in alphabetischer Reihenfolge (welche die Bereitschaft zu unterzeichnen, per E-Mail an den Verfasser dieses Briefes mitgeteilt haben):
Vera Bachmann, M.A., Neuere Deutsche Literatur
Prof. Dr. Christian Begemann, Neuere Deutsche Literatur
Prof. Dr. Klaus Benesch, Nordamerikanische Literaturgeschichte
Anna-Lisa Dieter, M.A., Neuere Deutsche Literatur
Dr. Annette E. Doll, Nordische Philologie
Prof. Dr. Tobias Döring, Englische Literaturwissenschaft
PD Dr. Hilke Elsen, Germanistische Linguistik
Prof. Dr. Wolfram Ette, Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft
Dr. Michael Ewert, Deutsch als Fremdsprache
Dr. Wolfgang Falkner, Anglistische Linguistik

und 60 weitere.

1 Vgl. Roland Preuß/Tanjev Schultz, "Verteidigungsfall", in: Süddeutsche Zeitung, 15.2.2011, Seite 2.
2 Günter Krings (Stellvertretender Vorsitzender der CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag), zitiert in: Handelsblatt online 17.02.2011, 07:04 Uhr, hb2010.handelsblatt.com/politik/deutschland/union-wittert-schmutzkampagne/3853804.html [Letzter Aufruf: 20.02.2011]
3 Hans-Peter Friedrich (Vorsitzender der CSU-Landesgruppe im Deutschen Bundestag), zitiert in: Focus Online, Mittwoch 16.02.2011, 21:21,
www.focus.de/politik/deutschland/plagiatsvorwuerfe-csu-politiker-attackieren-guttenberg-kritiker_aid_600715.html [Letzter Aufruf: 20.02.2011]


gefunden wurde diese dort als vollständiges Zitat angegebene Publikation dieses "offenen Briefs" am 24.2.2011 unter:
www.muenchenblogger.de/uni/guttenberg-offener-brief-von-lmu-professoren-kein-kavaliersdelikt-wie-falschparken