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BioM-Interview mit Dr. Ulrich Dauer,
CEO der 4SC AG

 

BioMHerr Dauer, lassen Sie uns kurz nach der Sommerpause einmal die letzten Ereignisse bei 4SC Revue passieren und einen Blick in die Zukunft wagen. Ich fange mal gleich mit einer eher negativ aufgenommenen Verlautbarung an, den Phase-II-Daten des 4SC-Medikaments „Vidofludimus“ in Rheumatoider Arthritis.

Dauer:
Wir haben 4SC strategisch so aufgestellt, dass das Schicksal des Unternehmens nicht von einem einzelnen Wirkstoffkandidaten abhängt. Mit 5 Substanzen in der klinischen Entwicklung, davon 2 Medikamentenkandidaten in mehreren Phase-II-Studien, verfügt 4SC über eine breite und ausgewogene Entwicklungspipeline. Damit machen wir das pharmazeutische Entwicklungsrisiko beherrschbar und können auch Rückschläge besser verkraften.

Und es ist richtig, Vidofludimus hat in einer klinischen Phase-II-Studie bei Patienten mit Rheumatoider Arthritis (RA) das gesetzte Ziel, den primären Endpunkt, nicht erreicht. Allerdings hat Vidofludimus bei näherer Auswertung eine klareWirksamkeit in dieser Studie gezeigt – beispielsweise wurden mehrere sekundäre Endpunkte mit statistischer Signifikanz erreicht.

BioM: Sehen da die Medikamenten-Experten auch noch Hoffnung, da die Finanzexperten an der Börse den Daumen ja schon etwas gesenkt hatten?

Dauer: Absolut – und die Reaktion der Börse ist ja nicht immer fundamental belegt und war aus meiner Sicht in diesem Fall auch übertrieben. Wir sind weiter in guten Gesprächen mit Pharmafirmen, da wir in einer so großen Indikation wie RA die nächsten, teuren Entwicklungsstudien für Vidofludimus ohnehin nur mit einem Partner stemmen können. In diesen Gesprächen sieht man in Vidofludimus nach wie vor großes Potential, zumal bislang gerade in der Indikation RA teure und oft mit stärkeren Nebenwirkungen behaftete Antikörper-basierte Therapie dominieren – hier sieht man in unserem oral verabreichtem, gut verträglichem und günstiger herstellbarem niedermolekularen Wirkstoff Vidofludimus eine attraktive therapeutische Option.

BioM: Vidofludimus wird auch für andere Indikationen entwickelt, wie ist dort die Lage?

Dauer:
Hier ist vorrangig der Bereich IBD zu nennen, auf Deutsch chronisch-entzündliche Darmerkrankungen wie Morbus Crohn und Colitis Ulcerosa. Hier haben wir im Herbst 2010 sehr vielversprechende Phase-II-Daten mit beeindruckenden Ansprechraten der Patienten veröffentlicht. Nun sind wir in Gesprächen mit den Regulierungs-Behörden, wie die nächste Studie aufgebaut werden sollte. Aufgrund des hohen medizinischen Bedarfs in IBD – denken Sie nur an die häufigen und teilweise drastischen Nebenwirkungen in der Standardtherapie mit Kortikosteroiden – sehen wir hier den nächsten Entwicklungsschritten in Richtung Zulassung zuversichtlich entgegen, die wir unterstützt von der Power eines starken Pharmapartners zügig angehen wollen. Vidofludimus ist für mich nach wie vor eine extrem spannende Substanz, die auch in chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen Blockbuster-Potenzial hat. Darüber hinaus hat Vidofludimus als Immunmodulator auch in weiteren Autoimmunerkrankungen wie zum Beispiel Lupus Potenzial.

BioM: Der nächste weitfortgeschrittene Kandidat ist Resminostat, Ihr HDAC-Inhibitor.

Dauer:
Ähnlich wie Vidofludimus sehen wir auch Resminostat als ein „Gesamtkunstwerk“ mit breiten therapeutischen Einsatzoptionen in mehreren Indikationen. Resminostat ist ein sog. „pan“-HDAC-Inhibitor, der die vielen unterschiedlichen Klassen dieser für die Genregulation wichtigen Enzymgruppe gleichermaßen inhibieren kann.

Wir verfolgen bei der Entwicklung drei Pfade:
Einmal wird das Medikament als Monotherapie eingesetzt, insbesondere beim Hodgkin‘s Lymphom (HL), wo wir Anfang September sehr gute Daten publiziert haben. In dieser „Nischenindikation“ – jährlich gibt es in Europa und den USA rund 20.000 Neuerkrankungen bei HL, die zu 80 Prozent mit Standard-Chemotherapie generell gut behandelbar sind – konnten wir also nun erstmals in der Klinik die Anti-Tumor-Wirksamkeit des Moleküls nachweisen und Resminostat damit validieren – bei hervorragender Verträglichkeit. Die Zielgruppe unserer Studie waren solche Patienten, die auf die Standardtherapien nicht oder nicht mehr ansprachen. Da diese Patienten keine weitere therapeutische Option haben, ist der medizinische Bedarf hier besonders hoch.

Die zweite Indikation ist das hepatozelluläre Karzinom (HCC); hierfür wurde uns in Europa und den USA bereits der „OrphanDrug-Status“ eingeräumt, was eigentlich auf eine kleine Patientenpopulation schließen ließe, jedoch ist insbesondere im asiatischen Raum wie Japan und China der Leberkrebs ein sehr großes Thema. Zudem haben wir auch hier einen hohen medizinischen Bedarf, so ist HCC heute weltweit die dritthäufigste krebsbedingte Todesursache. Derzeit gibt es keine Zweitlinientherapieoption – in einer aktuellen Phase-II-Kombinationsstudie mit Nexavar, einer anderen targeted therapy, haben wir für Resminostat schon im Juni gute Zwischenergebnisse in der Zweitlinientherapie vermeldet; auf die finalen Daten (bis Jahresende 2011) sind nicht nur wir schon sehr gespannt.

Als dritte Indikation gehen wir den Darmkrebs an, wobei Resminostat hier in Kombination mit einer Standard-Chemotherapie in Patienten mit K-ras-mutierten Tumoren getestet wird.

BioM: Bei solch unterschiedlichen Indikationen von Blut- über Leber- bis zum Darmkrebs, was macht Resminostat hier zu einem „Master-Molekül“?

Dauer:
Also, das Wort „Master Molekül“ haben jetzt Sie benutzt. Aber wir sehen in der Tat bei Resminostat angesichts seines besonderen, zielgerichteten Wirkmechanismus als HDAC-Inhibitor und der exzellenten Verträglichkeit ein sehr breites Anwendungsspektrum – sowohl was die therapeutischen Einsatz- und Kombinationsmöglichkeiten als auch was die behandelten Tumorarten und -indikationen anbetrifft. HDAC spielt eine entscheidende Rolle in der Epigenetik, und dabei vor allem in der Regulation der Genaktivität. Gerade in Tumoren ist diese Regulation außer Kontrolle geraten. Resminostat ändert die Expressionsmuster von Genen und erlaubt die Differenzierung von Tumorzellen – damit wird die Apoptose, also der programmierte Zelltod der Krebszelle gefördert. Des Weiteren kann man beobachten, dass bei bestimmten Tumorpatienten im Zusammenhang mit HDAC bestimmte Gene hoch- oder herrunterreguliert sind. Wir schauen uns das sehr genau an, wie im Detail und bei welchen Patienten die Genexpressionsmuster durch dieses Medikament beeinflusst werden.

BioMDamit meinen Sie genomische Biomarker, die auch bei der Patientenselektion eine immer größere Bedeutung erlangen?

Dauer:
Genau. Biomarker sind zum integralen Bestandteil unserer Forschungs- und Entwicklungsarbeiten geworden, sei es um die Zielgerichtetheit des Medikaments zu verbessern, oder auch, um bei der Rekrutierung von Patienten für die klinischen Studien ein tiefgehendes Profil nutzen zu können.

Ein weiteres Beispiel für den Ansatz der targeted therapy von bestimmten Patientenpopulationen verfolgen wir mit Resminostat bei Darmkrebs. Hier konzentrieren wir uns genau auf die Patienten, die einen „k-ras-mutierten“ Tumor tragen. Denn diese rund 40 Prozent der Darmkrebspatienten sprechen auf die jetzige Zweitlinien-Standardtherapie mit EGF-Rezeptor-Antikörpern wie Erbitux nicht an – und könnten daher von einer erfolgreichen Neuentwicklung von uns am besten profitieren. Ergebnisse aus dieser Phase I/II Studie erwarten wir nicht vor 2012.

BioM: Vom Biomarker ist es (manchmal) nicht weit bis zum Diagnostikum. Verfolgen Sie solche Entwicklungen auch?

Dauer:
Nicht selbst. Das können andere besser. Aber wir sind in Gesprächen mit Diagnostikfirmen, da die Erkenntnisse über die Genexpressionsmuster durch HDAC-Inhibition eine ideale Schnittstelle sind, um solche Kooperationen aufzubauen. Wir versprechen uns davon ein Subset von prognostischen Biomarkern, das uns bei der Entwicklung konkret weiterhilft – um mit der bestmöglichen Stratifizierung der Patienten auch die bestmögliche Therapieoption anbieten zu können.

BioMNeben Resminostat hat 4SC einen weiteren HDAC-Inhibitor in der Entwicklung. Ist das nicht Konkurrenz im eigenen Hause?

Dauer:
Nein. Das angesprochene Molekül 4SC-202 interagiert spezifisch nur mit einem bestimmten Subtyp der HDAC-Enzymklasse, während Resminostat als „pan“ HDAC-Inhibitor breiter angelegt ist. 4SC-202 wirkt sehr stark zellteilungshemmend (anti-mitotisch) und wir entwickeln diesen Wirkstoff deshalb gezielt in Richtung besonders schnellwachsender Tumore. Daher ist das weniger ein Konkurrenzprodukt, sondern wird im Erfolgsfall eine Ergänzung mit zusätzlichem Potential sein.

BioMApropos Konkurrenz: HDAC-Inhibitoren werden auch anderswo entwickelt. Wie sehen Sie die Stellung von Resminostat in diesem Wettlauf?

Dauer:
HDAC ist ein attraktives validiertes Target – natürlich gibt es da Wettbewerb! Bei näherer Betrachtung unterscheiden sich die entwickelten Medikamente jedoch erheblich, etwa bzgl. Wirkmechanismus oder Pharmakokinetik, und wir sind mit Resminostat bestens positioniert. So hat Resminostat in allen Untersuchungen bisher eine ausgezeichnete Sicherheit und Verträglichkeit gezeigt. Auch die Pharmakokinetik ist hervorragend: Wir erreichen sehr hohe Plasmaspiegel – die Substanz kommt also im Patienten in der notwendigen Menge an, um wirken zu können. Außerdem gibt es nicht viele, die weiter sind als wir. So ist Resminostat der erste HDAC-Inhibitor in der Indikation HCC. Die Tatsache, dass wir für HCC den Orphan-Drug-Status erteilt bekommen haben, zeigt, dass die Regulierungsbehörden den Wirkmechanismus für diese Indikation als sehr vielversprechend ansehen.

BioM: 4SC hat daneben weitere Projekte in der Pipeline. Wo stehen diese?

Dauer:
Wie schon erwähnt, ist es klare Strategie von 4SC nicht das berühmte „one-trick-pony“ zu reiten. Wir bauen daher ganz bewusst eine breite Pipeline auf und haben noch viele Projekte in der klinischen und späten präklinischen Forschung. So hat unser Multi-Kinase-Inhibitor 4SC-203 eine erfolgreiche Phase-I-Studie hinter sich. Hier wollen wir nun bald über die Tumor-Indikation für die Weiterentwicklung entscheiden. Ein weiteres Molekül mit einem sehr interessanten neuen Wirkmechanismus, das wir derzeit erstmals in Patienten mit hämatopoetischen und soliden Tumoren in einer Phase-I-Studie testen, ist 4SC-205: Dieser Eg5-Kinesin Inhibitor hemmt den Zellteilungsprozess, und damit die Vermehrung von Krebszellen, indem es ein Motorprotein des Spindelapparats inhibiert.Vereinfacht gesprochen soll 4SC-205 im Prinzip ähnlich wirken wie das berühmte Chemotherapeutikum Taxol, allerdings ohne die bleibenden neurologischen Schäden durch die Toxizität von Taxol. Schließlich haben wir mit 4SC-207 einen neuen Zellzyklus-Blocker in der Präklinik evaluiert, der für 2012 auf unserer klinischen Agenda steht.

BioMZum Schluss kommen wir nochmal auf ein Thema vom Anfang zurück: ohne Partnerschaften wird 4SC diese klinischen Projekte nicht bis zur Zulassung treiben können. Mit Yakult Honsha, dem Marktführer bei gastrointestinalen Krebstherapien in Japan, konnten Sie eine solche Kooperation für Asien für Resminostat in diesem Jahr vermelden. Wie gehen Sie hier weiter vor?

Dauer:
Wie erwähnt befinden wir uns im Gespräch mit mehreren großen Pharma- und Biotech-Firmen für die weltweiten Vermarktungsrechte an Vidofludimus und für ein Partnering von Resminostat in Europa und Amerika. Grundsätzlich gilt: Je mehr und bessere Ergebnisse man als Unternehmen zeigen kann über Wirksamkeit und Wirkprinzip einer Substanz, umso besser für diese Verhandlungen. Dies gilt besonders für die Bereiche, wo bereits Medikamente auf dem Markt sind oder es ein großes Wissen über die Wirkungsweise gibt, etwa bei den HDAC-Inhibitoren. Hier blicken wir zuversichtlich auf unsere noch in diesem Jahr erwarteten Daten mit Resminostat bei Leberkrebs. In anderen Fällen, wo wir mit unseren Wirkstoffen ganz neue attraktive Wirkprinzipien adressieren, wie beispielsweise mit 4SC-205, halten wir einen Partnering-Deal schon vor dem klinischen „proof of concept“ für möglich.

 BioM: Herr Dr. Dauer, wir danken für dieses Gespräch und wünschen der 4SC weiter alles Gute.