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Nobelpreis für Svante Pääbo für die Entschlüsselung des Neandertaler-Genoms

Prof. Svante Pääbo, Direktor am Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig, gilt als Begründer der Paläogenetik. © Karsten Möbius

Der Nobelpreis für Physiologie oder Medizin geht in diesem Jahr an den Schweden Prof. Svante Pääbo. Er hat durch die Entschlüsselung des Neandertaler-Genoms das Verständnis der Evolutionsgeschichte der modernen Menschen revolutioniert.

Svante Pääbo studierte an der Universität Uppsala Ägyptologie und Medizin. Als Doktorand gelang es ihm, das Erbgut altägyptischer Mumien zu sequenzieren und begründete das neue Forschungsgebietes der Paläogenetik, der Analyse von Genomen altertümlicher Organismen, um daraus Rückschlüsse auf den Verlauf der Evolution zu ziehen.

Nach seiner Promotion arbeitete Pääbo im Team des Evolutionsbiologen Allan Wilson an der University of California in Berkeley. 1990 erhielt Pääbo einen Ruf für Allgemeine Biologie an die Ludwig-Maximilians-Universität München. 1997 wechselte er als Direktor nach Leipzig an das neu gegründete Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie, wo er bis heute tätig ist.

Bereits Mitte der 1990er-Jahre konnten Pääbo und sein Team einen relativ kurzen Bestandteil der Mitochondrien-DNA eines Neandertalers entschlüsseln. Diese DNA der Neandertaler unterschied sich deutlich von dem Erbgut heutiger Menschen. Dies war der Beweis, dass Neandertaler nicht die direkten Vorfahren jetziger Menschen sind. 

2010 gelang es Svante Pääbo und seinem Team, eine erste Version des Genoms der Neandertaler aus Knochen zu rekonstruieren, die Zehntausende von Jahren alt sind. Die Vergleiche des Neandertaler-Genoms mit den Genomen heutiger Menschen ergaben, dass moderne Menschen und Neandertaler bei ihrem Zusammentreffen vor rund 50.000 Jahren gemeinsamen Nachwuchs gezeugt hatten, als moderne Menschen Afrika verließen und in Europa und Asien ankamen.

2 % Neandertaler-Erbgut im Genom von Europäern und Asiaten

Noch heute finden sich deshalb im Genom heutiger nichtafrikanischer Menschen zirka zwei Prozent Neandertaler-DNA. Dieser genetische Beitrag beeinflusste die menschliche Evolution: Er stärkte beispielsweise das Immunsystem der modernen Menschen, trägt jedoch auch heute noch zur Anfälligkeit für mehrere Krankheiten bei. So würden bestimmte Neandertaler-Genvarianten das Risiko für für einen schweren Covid-Verlauf erhöhen, so Pääbo in der Pressekonferenz des Nobelpreis-Komitees in Stockholm. Diese Erkenntnisse könnten auch zu einer besseren Behandlung von COVID-19-Erkrankten führen.

„Neandertaler sind die engsten Verwandten des heutigen Menschen“, sagte Svante Pääbo. „Vergleiche ihrer Genome mit denen heutiger Menschen sowie mit denen von Menschenaffen ermöglichen uns zu bestimmen, wann genetische Veränderungen bei unseren Urahnen eintraten.“ Dabei könnte künftig auch geklärt werden, warum moderne Menschen schließlich eine komplexe Kultur und Technologie entwickelten, die ihnen ermöglichten, fast die ganze Welt zu besiedeln. Dies erforderte jedoch ein vollständigeres Wissen über das Neandertaler-Genom als das Team 2010 erlangt hatte.

2014 gelang es dem Team am Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie, das Neandertaler-Genom fast komplett zu entschlüsseln. Dadurch wurde ein Vergleich mit den Genomen heutiger Menschen möglich. „Wir haben zirka 30.000 Positionen gefunden, in denen sich die Genome von fast allen heutigen Menschen von denen der Neandertaler sowie denen der Menschenaffen unterscheiden“, so Pääbo. „Sie beantworten, was anatomisch moderne Menschen auch im genetischen Sinn ‚modern‘ macht.“ Einige dieser genetischen Veränderungen bilden womöglich den Schlüssel zum Verständnis, was die kognitiven Fähigkeiten heutiger Menschen von denen, nun ausgestorbener, Hominiden unterscheidet. 

Entdeckung des Denisova-Menschen

Im Vorfeld dessen war Svante Pääbos Team bereits 2012 eine Sensation gelungen: Es entschlüsselte das Genom aus einem kleinen Knochen, den es in der Denisova-Höhle im westsibirischen Altai-Gebirge gefunden hatte. Die rätselhaften Ur-Menschen waren entfernt mit den Neandertalern verwandt und steuerten bis zu fünf Prozent zum Genom der heutigen Einwohner von Papua-Neuguinea, der Aborigines Australiens und anderer Gruppen in Ozeanien bei.

Derzeit arbeiten die Forscher an neuen Methoden, DNA-Fragmente zu rekonstruieren, die noch stärker zersetzt und in noch geringeren Mengen vorhanden sind. Ziel ist es, die Erforschung noch älterer DNA zu ermöglichen sowie Erbgut aus Teilen der Welt, in denen das Überdauern der DNA aufgrund von heißem und feuchtem Klima noch seltener ist.

Bereits Svante Pääbos Vater, Sune Bergström, wurde mit der höchsten wissenschaftlichen Auszeichnung geehrt: Der Biochemiker erhielt gemeinsam mit Bengt Ingemar Samuelsson und Sir John Robert Vane 1982 den Nobelpreis für Physiologie und Medizin für ihre bahnbrechenden Arbeiten über Prostaglandine und naheverwandte biologisch aktive Substanzen.