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Ein Blick zurück von Peter Buckel: Erinnerungen und Gedanken zum Biotechnologie-Cluster München

Erinnerungen und Gedanken zum Biotechnologie-Cluster München

Von Prof. Peter Buckel

Als ich vor knapp 50 Jahren am Kurt-Huber-Gymnasium in Gräfelfing kurz vor dem Abitur stand, war Martinsried noch ein Bauerndorf. Auf den Feldern, wo heute einer der größten Biotechnologie-Cluster Europas entstanden ist, verdiente ich im Herbst mit Kartoffelklauben zusätzliches Taschengeld oder war im Winter Langlaufen. Feodor Lynen hatte gerade den Nobelpreis für Biochemie (1964) erhalten und das Max-Planck Institut wurde erst 9 Jahre später eingeweiht (1973). Biochemie war in der Öffentlichkeit noch fast unbekannt. Die Molekularbiologie war gerade erst dabei, den genetischen Code als Grundlage der Proteinsynthese zu entschlüsseln.

Im Studium musste ich dann in München mit Fahrrad oder Straßenbahn täglich weite Strecken zurücklegen, wenn ich als Biologiestudent die Vorlesungen der Physik, Chemie, Zoologie, Botanik oder Mathematik besuchen wollte. Sie fanden zum Teil am gleichen Vormittag statt und zwar zwischen Schwabing, Innenstadt und Nymphenburg verteilt. Es gab keinen Campus oder ein Identifikationszentrum für Biologiestudenten. Das Wort Biotechnologie in unserem heutigen Sinne gab es noch gar nicht. Die pharmazeutische Forschung fand in Chemiefirmen statt.

In Tutzing lag die Keimzelle

Während meiner Doktorarbeit wurde in den USA das erste erfolgreiche gentechnische Experiment veröffentlicht (1973), und von Boehringer Mannheim in Tutzing gab es bereits eine kleine Preisliste mit Enzymen und Reagenzien für die neu entstehende biomedizinische Forschung, aufgrund einer Vision von Prof. Bergmeier. (Das Foto zeigt die Ortschaft Tutzing heute, mit dem Pfeil auf das damalige Boehringer-Gelände, das quasi die Keimzelle des späteren Münchner Biotech Clusters war. Aktuell wird dies zu einem erweiteren Gewerbegebiet umgeplant und umgebaut - in reizvoller Lage; mit freundlicher Genehmigung von Business Area Tutzing, TGZ GmbH)

Das idyllisch am Stadtrand von München gelegene Max-Planck Institut für Biochemie nahm langsam an Fahrt auf, und das Klinikum Großhadern wurde gebaut (1973-77). Aber dennoch betrachtete man Martinsried noch eine Weile als wissenschaftlichen Elfenbeinturm oder nannte es einfach „Martinsruh“.

Als ich 1977 in Tutzing bei Boehringer Mannheim als erster „Gentechniker“ in der biochemischen Forschung begann, hatte man noch nicht entdeckt, dass eukaryotische Gene von Introns unterbrochen sind. Als dies dann kurz drauf publiziert wurde, war völlig unklar, ob es je möglich sein würde, menschliche Proteine in Bakterien oder sonst wo zu produzieren.

Aber die biochemische Forschung und Diagnostikentwicklung in Tutzing expandierte rapide und bewirkte einen intensiven Technologieaustausch zwischen den Instituten und Kliniken in München und den Anwendern in Tutzing, später Penzberg. Einen bedeutenden Schub brachte die Initiative von Ernst-Ludwig Winnacker mit dem Bau des Genzentrums und der Zusammenführung der Münchner „Genforschung“ auf akademischer und industrieller Seite (1984).

Nächster Schritt: das Münchner Genzentrum

Winnacker und das Genzentrum induzierten und beflügelten auch die ersten Biotech-Firmengründungen. Zwischen Genzentrum und anderen Münchner Instituten und der Boehringer-Biotechnologie in Tutzing fand ein regelmäßiger fachlicher und freundschaftlicher Austausch statt, der zu gemeinsamen Projekten, Fortbildungen und Feiern führte. Eine erste "Cluster-Beziehung" hatte sich mit wissenschaftlicher Kompetenz und Visionen von wichtigen Beteiligten in der Region gebildet.

Entscheidend war dann der BioRegio-Wettbewerb 1996. München gehörte zu den Gewinnern, die BioM wurde gegründet (1997) und Horst Domdey hatte nicht nur das Konzept erarbeitet, er wurde auch mit der Umsetzung beauftragt. Er hat mit seinem Team ganz entscheidend die weitere Entwicklung des Münchner Biotech-Clusters geprägt.

Ich erzähle diese Geschichte als Zeitzeuge der Entstehung eines eindrucksvollen Biotechnologie-Clusters. Aber was waren die Erfolgsfaktoren? Am Anfang stand wissenschaftliche Exzellenz, die in München bis heute in beeindruckender Weise weiterentwickelt wurde. Aber es war nicht nur Forschung auf höchstem Niveau, sondern es gab auch Visionäre, wie Butenandt, Lynen, Bergmeier (Tutzing), Winnacker und viele andere, die ihre Visionen hartnäckig umsetzten. Die Bayerische Staatsregierung war der neuen Richtung gegenüber außerordentlich positiv gesinnt und die Lebensqualität in München unterstützte die Anwerbung von Talenten. Aber es ist natürlich auch die Infrastruktur, die nach und nach geschaffen wurde, mit einem perfekt gemanagten Gründerzentrum (IZB), mit Labor- und Bürobauten aus privater Hand im näheren und weiteren Umfeld und einer schrittweisen Konzentrierung der Münchner Lebenswissenschaften der LMU in Martinsried und Großhadern.

Das alles führte zu einem Standort der kurzen Wege. Wissenschaftler aus der ganzen Welt finden in Martinsried nicht nur einen einzigen Ansprechpartner, der einen Besuch lohnt. Viele besuchen mehrere Institute oder Firmen. Zu Vortrags- oder Fortbildungsveranstaltungen kann man zu Fuß gehen. Investoren oder Pharmafirmen können in einer Veranstaltung gleich eine Reihe von Biotechfirmen am Standort ansprechen. Das Gleiche gilt für Service- und Technologieprovider. Großgeräte und Technologien von LMU und Max-Planck Instituten werden von den Startups genutzt, und durch viele dieser Interaktionen entstehen auch wieder neue Ideen und Projekte. Ein funktionierender Cluster ist dann sehr konkretes Innovationsmanagement!


Erreichtes - und Fehlendes

Reicht die entstandene Dynamik für die Weiterentwicklung des Martinsrieder/Münchner Biotech-Clusters zu einem der Top-Standorte in der Welt? Hier haben wir noch lange keine Genentech oder Amgen aus eigener Kraft entwickelt. Das hat sicher vielschichtige historische Gründe. Aber wie können wir eine nachhaltige Stärkung des Standortes fördern?

  • Es ist mir unverständlich, dass wir seit über 20 Jahren über die Verlängerung der U-Bahn nach Martinsried diskutieren und, dass immer noch nicht mit dem Bau begonnen wurde! Das Gleiche gilt für eine geeignete Straßenanbindung von Süden und Westen. Bei einem Campus dieser Bedeutung für München ist es unglaublich, dass Entscheidungen immer wieder zwischen den Gemeinden Planegg, Gräfelfing und der Stadt München hin und her geschoben werden. Es fehlt ein Straßenanbindungskonzept, das über die individuellen Bedürfnisse der beteiligten Gemeinden hinausgeht. Dazu gehört auch eine übergeordnete Bebauungsplanung um eine Expansion für Firmen am Standort zu ermöglichen.


  • Ich habe mit einigen großen Biotechnologiestandorten in den USA, Europa und Asien entweder im Rahmen von Firmengründungen verhandelt oder Zentren und Staaten beraten. Im Vergleich der Incentives und Fördermaßnahmen für Firmengründungen an anderen Standorten liegt der Münchner Campus weit hinten.


  • 70 bis 80% der Erfindungen, die mit deutschen Steuergeldern an unseren Instituten gemacht werden, gehen ins Ausland. Wir haben hierzulande zu wenige Finanzierungsmöglichkeiten, um ausreichend attraktive Projekte wenigstens in eine nächste Stufe zu bringen. Viele internationale Investoren haben sich wegen ungünstiger Bedingungen in den letzten 10 Jahren aus Deutschland zurückgezogen. Und wer einmal seine Zelte abgebrochen hat, kommt nicht so schnell wieder. Die Verbesserung der Bedingungen für Finanzinvestoren muss ein Thema bleiben.


  • Viele Firmengründer haben die Erfahrung gemacht, dass ihnen nicht mehr viel von ihrer Firma übrig bleibt, wenn sie ein paar Jahre mit Venture Kapital zusammengearbeitet haben. Der Prozess entspricht gleichsam einer Enteignung und Entmündigung. Dies hat dazu geführt, dass eine zunehmende Zahl von potentiellen Firmengründern nicht gründet, oder den langen Weg über ein Servicekonzept geht. Ich meine, Finanzierungsverträge sollten auf mehr partnerschaftlicher Basis erstellt werden.


  • Wichtig für ein Biomedizin-Cluster ist eine enge Zusammenarbeit zwischen Biotechfirmen und den Instituten und Kliniken. Wenn das Verhandeln von Verträgen für klinische Studien mit der Klinikadministration manchmal länger dauert als die klinische Studie selbst, dann stimmt etwas nicht an einem Standort, der in dieser Disziplin Exzellenz vorweisen will. Ebenso sind Lizenzverhandlungen mit den Technologietransferstellen der Universitäten, die sich über ein Jahr hinziehen, unakzeptabel. Wir brauchen an den Universitäten ein professionelles Patent- und Lizenzmanagement, das Firmen eine rasche Produktentwicklung ermöglicht.


  • Wir haben in Bayern keine grüne Biotechnologie - tatsächlich ist dies mittlerweile in fast ganz Deutschland so! Auch wenn das möglicherweise kurzfristig politisch opportun und gewünscht ist, ist es für einen internationalen Forschungs- und Biotechnologie-Standort eine Katastrophe. Viele unserer zukünftigen Rohstoffe werden auf grüner Biotechnologie basieren. Und wir werden dann in diesem Markt ein Importland sein!


Reichen diese Mahnungen aus, um doch einmal Firmen wie Genentech und Amgen zu generieren? Sicher nicht. Wir brauchen ein Umdenken in unserer Einstellung gegenüber Innovationen. Wir brauchen mehr positiv denkende Menschen auf allen Ebenen der Entscheidungswege. Wir brauchen Menschen, die statt „Ja, aber…“ einfach „Warum nicht?“ sagen. Wir brauchen auch längere Finanzierungsperspektiven bis zur Markteinführung. Sonst gibt es keine Produkte, die in unserem Land Wert generieren. Glücklicherweise haben wir in München einen neuen Typ von Investoren, der längerfristig denkt. Es wäre schön, wenn sich noch weitere dieser Denkweise anschließen würden. Vielleicht wäre das ein erster Schritt dazu, dass Deutschland wieder zu einer wichtigen Apotheke in der Welt wird - und dass der Biotechnologie-Cluster München-Martinsried dazu beiträgt.

Im Juli 2013- aus dem Juli-Newsletter von BioM

BioM führte zusätzlich ein Interview mit Prof. Buckel, das ebenfalls im Juli-Newsletter enthalten ist, hier ist der Link dazu:

http://biom.exseteam2.de/web/b2/NewsDetail.html.php?id=1051&table=nlNews1&PHPSESSID=db2d268c0d5e59b34c30417eea4689b5