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Matthias Tschöp erhält Heinrich-Wieland-Preis für bahnbrechende Forschung zu Diabetes und Übergewicht

Prof. Matthias Tschöp erhält die Heinrich-Wieland-Preis für bahnbrechende Forschung zu Diabetes und Übergewicht © Matthias Tunger Photodesign

Prof. Matthias Tschöp, wissenschaftlicher Geschäftsführer von Helmholtz Munich und Humboldt-Professor an der Technischen Universität München (TUM), wurde mit dem renommierten Heinrich-Wieland-Preis der Boehringer Ingelheim Stiftung ausgezeichnet. Der Arzt und Wissenschaftsmanager erhält den Preis für seine herausragende Forschung zu Diabetes und Adipositas und deren Prävention und Behandlung. 

In Europa sind rund 60 % aller Erwachsenen und nahezu jedes dritte Kind übergewichtig oder sogar adipös. Diese Menschen leiden in der Folge häufig an Diabetes, schweren Herzkreislauferkrankungen und vielen andere Komplikationen.

Prof. Tschöp hat die zentralen Mechanismen der Gewichtsregulierung entschlüsselt und Medikamente entwickelt, die Übergewicht und dessen Folgen effektiver denn je behandeln bzw. vorbeugen können.

Neben seiner wegweisenden Entdeckung des Hungerhormons Ghrelin im Jahr 2000 arbeitete er eng mit seinem langjährigen Forschungspartner, dem Chemiker Richard DiMarchi, zusammen. Gemeinsam legten sie den Grundstein für eine völlig neue Wirkstoffklasse der Zwei- und Dreifach-Darmhormon-Medikamente bekannt als Polyagonisten.

"Adipositas ist eine Erkrankung im Gehirn!"

Früh erkannten die Forscher, dass der körpereigene Mechanismus Kalorien zu speichern nicht nur über einen einzelnen Signalweg behandelt werden kann. Zudem haben die Wissenschaftler herausgefunden, wo die Schlüsselhormone zur Regulierung des Körpergewichts wirken: "Adipositas ist eine Erkrankung im Gehirn! Diese Erkenntnis war neu und hat uns in die richtige Richtung gelenkt“, erklärt Tschöp. Die Forscher hatten sich nun zum Ziel gesetzt, einen Wirkstoff zu finden, der nicht nur einen, sondern mehrere der beteiligten Signalwege im Gehirn gleichzeitig ansteuern kann. Sie entdeckten schließlich drei geeignete Hormone, die im Darm selbst gebildet werden, entdeckten: Glukagon, GLP-1 und GIP.

Um diese im menschlichen Körper einzusetzen, mussten die drei Hormone chemisch miteinander zu einem einzigen Wirkstoffmolekül verbunden werden: Dazu wählten die Forschenden gezielt bestimmte Aminosäuren aus den metabolisch aktiven Darmhormonen aus und veränderten die entstandene Verbindung bis sie haltbar, stabil und löslich genug war, um im Körper eingesetzt zu werden. Das Ergebnis war eine neue Klasse von Therapeutika mit einer beispiellosen Wirkung auf den gesamten Stoffwechsel adipöser Patientinnen und Patienten und einem beachtlichen Gewichtsverlust. Die neuen Multi-Rezeptor-Medikamente sorgen derzeit weltweit mit ihrer Erfolgsbilanz für Aufsehen.

Im vergangenen Jahr erhielten die ersten Polyagonisten ihre Medikamentenzulassung in den USA und derzeit befinden sich mehr als zehn weitere in klinischen Studien. Dies deutet auf den Beginn einer neuen Ära in der Stoffwechselmedizin hin. Sie zeigen ähnliche Therapieerfolge wie eine Magenbypass-Operation – aber ohne die Risiken eines invasiven Eingriffs. Erstmals besteht die Möglichkeit, Volkskrankheiten wie Übergewicht und Adipositas umfassend zu behandeln und damit auch das Risiko für Diabetes deutlich zu reduzieren.

Die nächste Generation personalisierter Medikamente

Tschöp möchte zukünftig zudem herausfinden, wie man die Behandlung mit den Multi-Rezeptor-Medikamenten nach entsprechendem Gewichtsverlust beenden kann und die betroffenen Menschen trotzdem einen gesunden Stoffwechsel beibehalten und nicht wieder zunehmen. Gleichzeitig hat er schon eine neue Vision vor Augen: die nächste Generation von Stoffwechselmedikamenten zu erforschen: „Wir wollen eine noch präzisere Medizin für metabolische Erkrankungen. Mit den Polyagonisten haben wir begonnen, die nächste Generation personalisierter Medikamente zu entwickeln“, so Tschöp.

Prof. Matthias Tschöp ist Neuroendokrinologe und international führender und zahlreich ausgezeichneter Wissenschaftler im Bereich Diabetes und Adipositas. Er ist zudem seit 2018 wissenschaftlicher Geschäftsführer von Helmholtz Munich, seit 2023 Vizepräsident der Helmholtz-Gemeinschaft für den Forschungsbereich Gesundheit sowie Humboldt-Professor an der Technischen Universität München seit 2012.
2023 wurde er mit der Banting-Medaille, der höchsten Auszeichnung der American Diabetes Association ausgezeichnet. Mit dieser prestigeträchtigen Auszeichnung werden bedeutende, langfristige Beiträge zum Verständnis, zur Behandlung oder zur Prävention von Diabetes gewürdigt. Tschöp ist nicht nur der erste deutsche Wissenschaftler, der diese Medaille erhält, sondern auch der aktuell jüngste Banting-Medaillen-Träger.

Der Heinrich-Wieland-Preis ehrt weltweit herausragende Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler für ihre bahnbrechende Forschung zur Chemie, Biochemie und Physiologie biologisch aktiver Moleküle und Systeme sowie deren klinische Bedeutung und ist mit 100.000 Euro dotiert.