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Precision Medicine-Konferenz in München: Warum die Digitalisierung gleichzeitig einen Paradigmenwandel für Forschung und die medizinische Versorgung initiiert.

PMBC 2019
Thomas Wilckens

Thomas Wilckens beim Forum Science & Health 2019 ©BioM

Thomas Wilckens, ehem. Gründer eines Biotech-Unternehmens in Martinsried, heute CEO des in Israel ansässigen Unternehmens InnVentis Ltd und Berater/Beirat diverser StartUps und Firmen sowie Weltreisender in Sachen „Precision Medicine“ mit großer Gefolgschaft (vulgo mehrere 10k Follower), ist Organisator der Konferenz "PMBC2019", die Mitte Oktober (14.-15.10.) in München diese „Welten“ zusammenbringt: Pharma, Biotech, Data, Künstliche Intelligenz und weitere Digitalbereiche. Der „Think Tank“-Event hatte in 2018 beim ersten Aufschlag einige Beachtung gefunden, weil hochkarätige Sprecher*innen aus aller Welt in einen sehr intensiven Austausch untereinander wie auch mit den Teilnehmern getreten waren, der auch konkrete Projekte zur Folge hatten.

BioM unterhielt sich im Vorfeld dieser Konferenz mit dem Veranstalter über Programmhighlights.

BioM: Wir sahen und sehen den größten Erfolg der ‚personalisierten Medizin‘ in der Onkologie. Dort ist die Zell- und Gentherapie ja sogar noch einen Schritt weiter und wirklich zu einer individuell-personalisierten Medizin geworden. Warum passiert das in anderen Indikationen so viel langsamer?

Wilckens: Ich denke hier spielen drei Faktoren eine Rolle. Erstens, Next Generation Sequencing skaliert dort in die klinische Anwendung und hat ein Preisniveau erreicht, das vom Markt akzeptiert wird. Zweitens ist hier der Druck auf die Industrie derart angewachsen, dass sich bereits heute Value-based Compensation Erstattungsmodelle entwickeln; d.h. hier gibt es eine Motivation für die Industrie, die „personalisierte Anwendung“ wirklich als Geschäftsmodell durchzudeklinieren und proaktive Lösungen zu entwickeln. Drittens, diagnostische Plattformen wie die einer Foundation Medicine, welche Empfehlungen zu konkurrierenden Therapeutika erlauben, sind nicht nur für einige Diagnostikunternehmen neu, sondern auch komplexer zu entwickeln, da dies eben in der Regel nicht mit einer einzigen *omics Technologie möglich sein wird. D.h. hier ist Pionierarbeit notwendig, was allerdings den 1st Movern die ich so beobachte einen signifikanten Wettbewerbsvorteil verschaffen wird; z.B. die Kooperation Microsoft mit Adaptive und ein paar von Google angetriebene Projekte, neben ein paar StartUps in USA, UK, CH und China.

Die moderne Medizin und auch die dazugehörige Forschung und Entwicklung befinden sich mitten im Wandel zur sog. Präzisionsmedizin oder Precision Medicine. Mit dem Gewinn im Spitzenclusterwettbewerb 2010 hatte sich (auch) die Münchner Biotech-Community unter Koordination durch die Clustergesellschaft BioM aufgemacht, diesen Wandel in die eigene Forschungs- und Entwicklungsarbeit einzufügen und mit zielgerichteten Therapien bei genauer charakterisierten Patientenpopulationen auf  mehr Erfolg versprechenden Pfaden zu wandeln.

Derzeit beschleicht einen jedoch das Gefühl, dass der „Digital Health Hype“ mittels u.a. wearable gadgets die Mühen und Schwierigkeiten im Drug Design / Development und die Identifizierung der geeigneten molekularen Signaturen („Biomarker“) vollständig überdeckt und heilsbringende Lösungen verspricht, die in der Realität dann doch zu großer Nüchternheit Anlass geben (was während der Oktoberfestzeit zugegebenermaßen ein etwas schwieriges literarisches Bild sein mag). Doch: Keine App wird eine chronische Autoimmunerkrankung heilen, oder auch im Frühstadium identifizieren.
Gleichwohl ist derzeit allerorten wieder von diesem Paradigmenwechsel zu hören und zu lesen. Induziert und konkret ermöglicht wird diese 2. Phase des ursprünglichen "Precision-Medicine" (Eric Topol getriebenen) Paradigmenwechsel nun zunehmend durch das Zusammenwachsen von Künstlicher Intelligenz mit sog *Omics-Technologien und Real World Datenquellen (dann incl. weiterer Digital Health-Applikationen) zu einer ganz neuen Form von „datengetriebenem Wissen und Handeln“ in der Medizin. Wenn man so will, ist die Biologie nun so tief in die Medizin hineingedrungen, das tatsächliche Verständnis über Krankheiten (noch nicht bei jeder) so explodiert, dass ganz andere Schlussfolgerungen entstanden sind. Hierbei wird weiter intensiv an der Verschränkung von Diagnostik und Therapie gearbeitet, und beispielsweise ein Unternehmen wie GRAIL hat gezeigt, dass die Kombination von KI mit einer Omics Technologie, in diesem Fall angewendet bei minimalinvasivem Einsatz (der so genannten „Liquid Biopsy“), Ergebnisse liefert, die vor 5 Jahren als Hirngespinst abgetan worden wären: nämlich die Früherkennung entstehender Krebsformen und deren Lokalisation aus dem Blut.

Dazu weiter in unserem Austausch mit Thomas Wilckens:

BioM: Eine angemessene Patientenstratifikation, d.h. Identifikation einer Population die auf eine Intervention anspricht, ist nach den Zulassungsbehörden eine Grundvoraussetzung damit ein Therapeutikum auf den Markt kommen kann. Ist das bei allen Pharma- und Biotech-Firmen schon angekommen und verinnerlicht?

Wilckens: Angekommen zu 100%, zumindest bei Big Pharma, während wir bei Biotechs und VCs noch sehr viel „old school“ Thinking vorfinden. Sie können heute von jedem CEO der Top 20 Pharmaunternehmen ein Statement finden, das die Vision der Präzisionsmedizin recht gut beschreibt. Auf Worte Taten folgen zu lassen wie in der Onkologie ist aber eine andere Geschichte; allerdings, warum sollten die Unternehmen ihre Cash Cow schlachten?

BioM: Auf der anderen Seite hat man den Eindruck, dass es fast nichts Schwierigeres gibt, wie einen Biomarker, oder auch ein Panel von mehreren Markern, zu finden, zu validieren und zugelassen zu bekommen, der bzw. das dann auch noch den „Segen“ der Ärzteschaft in der leitliniengerechten Anwendung bzw. auch die Erstattung durch das System erhält. Ist das ein typisch deutsches, zurückhaltendes Verhalten der Systembewahrer oder in anderen Ländern ähnlich?

Wilckens: Typisch Deutsch würde ich nicht sagen, aber wir haben in Europa (ohne CH und UK) ein paar Probleme. Nehmen wir zum Beispiel Stefan Oschmann und seine Strategie Merck zu positionieren, sind „wir“ den USA sogar voraus; dies nicht zuletzt, da Merck Chinas‘ und Israels‘ Daten“hoheit“ ebenso wie Führungsrolle im Bereich KI als Chance erkannt, und entsprechende Kooperationen sehr breit aufgestellt hat.

Was die Akzeptanz bei der Ärzteschaft angeht, so sitzen diese längst nicht mehr an dem vermeintlichen Hebel (haben es vielleicht nur noch nicht gemerkt) und diejenigen, die sich mit Digitalisierung nicht anfreunden wollen, werden bald nicht mehr praktizieren.

BioM: Biomarker(gruppen) können nur mithilfe riesiger Datenberge und effizienter Analysetools aufgespürt werden. KI ist da derzeit in aller Munde, und doch ist KI auch für die Experten durchaus auch eine „black box“, wie dort ein Entscheidungsweg konkrete Ergebnisse liefert. Ist das vielleicht ein Grund für die scheinbare Unvereinbarkeit von „Wissenschaftlichkeit“ und „KI-tools“ und mithin ein Hinderungsgrund zur breiteren Anwendung?

Wilckens: Diese Einschätzung basiert allein auf dem Unverständnis wie KI funktioniert, was sie leisten kann, und was auch nicht. Die FDA hat mit KI das geringste Problem, denn es ist eigentlich relativ einfach zu zeigen, dass die Lösungen, die sogar schon heute auf dem Markt sind, mindestens so gut funktionieren wie Ärzte; solche Feststellungen finden sich selbst in deutschen Ärztezeitschriften vermehrt. Eine KI wird allerdings über die Zeit nicht unkonzentrierter und macht keine fatalen Fehler. Wussten Sie, dass jede Minute 5 Menschen aufgrund einer ärztlichen Fehlleistung sterben? Das behaupte nicht ich, sondern sagt die WHO.

BioM: Nun haben Sie gerade aus dem internationalen Sektor mit USA-Silicon Valley, Google, Vertretern aus Israel etc die führenden Kompetenzträger auf Ihrer Konferenz versammelt und wir freuen uns natürlich, dass so ein Treffpunkt in München organisiert wird. Trotzdem wird man das Gefühl manchmal nicht los, dass es soviel Veranstaltungen und Bewegung in diesem Sektor gibt, dass es unglaublich schwierig ist, das richtige für einen selbst herauszufiltern. Wenn ich nur mit meiner eigenen Intelligenz auf Ihr Programm schaue, warum sollte ich dort jedenfalls teilnehmen und mich auch aktiv beteiligen?

Wilckens: Ich habe das Privileg über interne Workshops als „Sparringspartner“ bei einigen bedeutenden Top-Pharma-Unternehmen Einsichten in Fragestellungen bekommen zu haben, die mich mit InnVentis selbst umtreiben. Niemand kann all diese komplexen Themen alleine bearbeiten. Also habe ich die Chance genutzt, zum zweiten Mal einen Nachdenk-Workshop zu organisieren, der nicht nur mir, sondern wie letztes Jahr allen Teilnehmern in ihrem Tagesgeschäft weiterhelfen kann. Ich habe kein Interesse, mich in Visionen zu verlieren, sondern Lösungen zu entwickeln, die sich in Projekte umsetzten lassen. Meine Hoffnung ist natürlich, dass wir auch in der EU investieren wie in den USA oder China. Grundsätzlich bin ich ja nicht freiwillig nach Israel ausgewandert, aber die Chancen sind dort insbesondere wieder in Zusammenarbeit mit China so dramatisch viel größer, wie wir u.a. in dem Vortrag „Introduction to the Israeli AI Landscape and Overview of the National AI Strategy“ hören werden; allein dieser Vortrag ist es neben anderen Highlights sicher wert und ich möchte mich an dieser Stelle bereits bei allen Rednern bedanken, die uns ihre Zeit und Erfahrung als Geschenk mitbringen! Gerade die Biotech-KMUs aus Deutschland, die global erfolgreich sein wollen, müssen diesen Austausch suchen.

BioM: Vielen Dank für das Gespräch!

Special Offer: Wir freuen uns, dass wir zu dieser Konferenz 3 Freitickets vergeben können. Interessierte melden sich dazu bitte direkt bei Dr. Georg Kääb, kaeaeb@remove-this.bio-m.org (die Vergabe erfolgt unter Ausschluss jeglicher rechtlicher Ansprüche ggfls. nach dem Losverfahren).

 
Näheres zur Konferenz PMBC 2019:
Der 2nd International Congress on Precision Medicine (PMBC) vom 14.-15. Oktober im Münchner City Hilton-Hotel vereint nicht nur Vordenker und Experten aus Akademia und Industrie zu einem „Think Tank“ ähnlichem Forum, sondern hat auch zum Ziel konkret umsetzbare Projekte und Empfehlungen für den Handlungsrahmen zu entwickeln. Getreu dem Veranstaltungsmotto: „A Roadmap towards Precision Health & Precision Medicine beyond Cancer“. 

Programm und Registration unter: https://www.pmbc2019.com/